Stolpersteine in Bensheim
1. Der große "Negrelli Stolperstein" beim Bürgerbüro, Hauptstraße 39
Von dem Mannheimer Künstler Rainer Negrelli wurde 1995 ein "Stolperstein" genanntes Mahnmal für die Bensheimer Opfer des Naziterrors geschaffen, das man unterschiedlich deuten kann:
Die große Spitze kann man sich als ein versinkendes Hakenkreuz vorstellen oder aber als ein emporstrebendes Hakenkreuz, das das Aufkommen neofaschistischen Gedankengutes symbolisiert. Daneben ist eine Bronzetafel im Boden eingelassen, die folgende Inschrift trägt:
"Auch in Bensheim wurden in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur Verbrechen gegen die Menschheit begangen. Auch in dieser Stadt wurden Menschen schuldig, gab es Opfer und Täter. Auch in unserer Mitte wurden Menschen wegen ihrer Abstammung und Herkunft, wegen ihrer religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung und Bekenntnisse verfolgt, gefoltert, ermordet. Die Erinnerung daran mahnt und verpflichtet uns, jederzeit für Demokratie, für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit einzutreten."
Dieser Text wurde vom "Arbeitskreis Gedenkstätte" erarbeitet. In diesem vom Magistrat der Stadt Bensheim eingerichteten Gremium arbeiteten Mitglieder aller im Bensheimer Stadtparlament vertretenen Parteien, Mitglieder unserer Geschichtswerkstatt sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger zusammen. Es gab damals eine längere und breite öffentliche Debatte. Am 8. Mai 1995 wurde dieses Denkmal der Öffentlichkeit übergeben.
Eine Tafel an der Seite des Gebäudes, in dem das Bürgerbüro untergebracht ist, erklärt den Negrelli Stolperstein seit März 2017. Eine sehr gute Idee ist auch die Anbringung eines QR- Codes rechts unten, so dass man mit dem Smartphone (bald) nähere Informationen bekommen kann. Im Gebäude des Bürgerbüros war nämlich die nationalsozialistische Polizei untergebracht: Viele Gegner, Andersdenkende und jüdische Bürger waren dort zuerst inhaftiert. (Links oben das Zeichen für den historischen Rundgang der Stadt Bensheim.)
2. Die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig
Bis 2023 wurden 100.000 Steine in Deutschland und in 30 weiteren europäischen Ländern verlegt. Diese Stolpersteine sind wohl das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Die Marke Stolpersteine ist beim Deutschen Patent- und Markenamt durch Gunter Demnig geschützt. Am 31.05. 2011 wurden in Bensheim die ersten 14 Stolpersteine verlegt: (BA, 1.06. 2011) Kleine Mahnmale im Trottoir
Am 16.11. 2012 wurden in Bensheim weitere 13 Stolpersteine verlegt: (BA, 17.11.2012 ) Verbeugung vor den Opfern des Naziterrors
78 Stolpersteine sind bis September 2024 auf der Liste der Bensheimer Stolpersteine bei Wikipedia aufgeführt. Am 12.09.2024 verlegten Schüler der Geschwister-Scholl-Schule mit ihren Lehrern Peter Ströbel und Frank Maus in Bensheim weitere 9 Stolpersteine vor dem Kaufhaus Ganz.
Das Kaufhaus Ganz
"Das Kaufhaus, damals „erstes Haus am Platze“, mussten Sophie Jacoby und Else Schwabacher (1936) verkaufen. Ob Ernst Ganz es unter Wert erstehen konnte, ist schwer zu sagen. Der entsprechende Kaufvertrag war jedenfalls regelkonform – auch nach heutigen Maßstäben, erklärte Peter Ströbel. Allerdings enthielt er die Option der Ratenzahlung, was den Verkäuferinnen zum Verhängnis werden sollte. Es gibt viele Briefe, mit denen sie – inzwischen im Ausland – per Anwalt um Erfüllung der Raten geradezu flehen. Ernst Ganz antwortete mit Ausflüchten. Ob er am Ende alles bezahlt hat, blieb nicht feststellbar. Ohnehin gingen von dem Kaufbetrag von 34550 Reichsmark noch 8500 Reichsmark Reichsfluchtsteuer und fast 17500 Reichsmark an Abgaben für die Transferierung von Vermögen ins Ausland ab." (...) Als es nach dem Zweiten Weltkrieg um Wiedergutmachungszahlungen ging, besorgte sich Ernst Ganz ein Scheingutachten von dem Bensheimer Architekten Heinz Kessler, das ohne weitere Belege den Eindruck erweckt, bei dem Kaufhaus habe es sich um eine Ramsch-Immobilie gehandelt, erklärten die Referenten. So blieb die Zahlungsverpflichtung relativ gering, doch auch deren Erfüllung zögerte Ernst Ganz hinaus." (BA Online vom 16.09.2025)
Dieser Artikel enthält auch die einzelnen Lebenswege der Familie Jacobi/ Schwabacher:
Die Lebenswege der Verfolgten aus der Familie Schwabacher/Jacoby im Einzelnen
• Sophie Jacoby, geb. Kitzinger: Sie wurde 1883 in der Nähe von Ulm geboren und heiratete mit 22 Jahren den Bensheimer Kaufmann Zacharias Jacoby. Sie führte das Kaufhaus ihres Mannes nach dessen Tod 1932 allein weiter. Die Ehe war kinderlos. Deshalb wurde sie von Else und Leopold Schwabacher unterstützt, den Kindern ihrer älteren Schwester Klara. 1936 verkaufte sie das Kaufhaus, um genügend Geld für ihre Flucht aus Deutschland zu haben. Sie emigrierte nach Palästina, kehrte 1938 aber nach Europa zurück und zog nach Paris, wo jetzt ein Großteil ihre Familie lebte. Als dann der Krieg ausbrach, blieb die ältere Generation allein in Paris zurück. Als die deutsche Wehrmacht 1940 Paris besetzte, floh sie mit ihrer Schwester Klara und deren Mann. Sie wurde von der französischen Polizei verhaftet und im Lager Gurs festgesetzt, kam aber noch frei, bevor die deutsche Wehrmacht das Lager übernahm. Schließlich konnte sie in die USA ausreisen, hatte dort wegen fehlender Sprachkenntnisse aber Schwierigkeiten, sich einzuleben. Sie starb im Alter von 73 Jahren.
• Else Wolff, geb. Schwabacher: Mit 15 Jahren zog Else aus Memmingen 1922 zu ihrer Tante Sophie Jacoby und ihrem Onkel Zacharias nach Bensheim, machte hier ihre kaufmännische Ausbildung und half später ihrem Onkel bei der Geschäftsführung. Nach dem Tod des Onkels unterstützte sie zusammen mit ihrem Bruder die Tante und wurde von ihr zur Miteigentümerin bestimmt. Mit dem Verkauf des Kaufhauses 1936 verlor Else ihre Existenzgrundlage und floh 1937 mit den Eltern nach Paris. 1939 konnte Else dank der Bürgschaft eines Verwandten in die USA auswandern. Nach Gelegenheitsjobs erwarb sie mit dem Bruder einen Laden für Kinderschuhe, heiratete 1943 und eröffnete mit ihrem Ehemann Walther Wolff ein eigenes Geschäft. Ein Jahr später kam ihr Sohn Howard zur Welt. Sie starb im Alter von 101 Jahren in Deerfield. 1992 hatte sie ihre ehemalige Heimat Bensheim noch einmal auf Einladung der Stadt besucht.
• Klara und David Schwabacher: Elses Eltern, stammten aus Viehhändlerfamilien in jüdischen Landgemeinden in Bayerisch Schwaben. Die beiden heirateten 1902, lebten in Memmingen und hatten insgesamt sechs Kinder. Im Ersten Weltkrieg kämpfte David an der Ostfront. Unter den Nationalsozialisten musste er seine Viehhandlung verkaufen. David und Klara zogen 1935 zu Klaras Schwester Sophie Jacoby nach Bensheim, wo auch ihre Tochter Else arbeitete. Gemeinsam beschlossen sie, Deutschland zu verlassen. Nach dem Verkauf des Kaufhauses in der Hauptstraße 56 zogen David und Klara zusammen mit Else nach Paris, flohen nach Südfrankreich und konnten mit Hilfe ihrer Kinder 1941 in die USA auswandern. David starb 8 Jahre nach seiner Ankunft in den USA, Klara überlebte ihn um 19 Jahre.
• Bertha Oswald, geb. Schwabacher: Die älteste Schwabacher-Tochter zog nach dem Besuch einer Handelsschule in Mainz für ein Jahr nach Bensheim, um bei Onkel und Tante im Kaufhaus zu arbeiten. Zurück in Memmingen arbeitete sie als Buchhalterin und Handelsbevollmächtigte in einer Woll- und Weißwarenhandlung. 1935 musste sie ihre Stelle wegen ihrer jüdischen Herkunft aufgeben und zog wieder nach Bensheim, wo sie vermutlich für die Filiale des Kaufhauses in Lorsch zuständig war. 1936 ging sie mit ihrer Tante Sophie für zwei Jahre nach Palästina, dann zu ihrer Familie nach Paris, heiratete dort den Viehhändler Hans Oswald und wanderte mit ihm 1939 in die USA aus. Bertha starb wenige Monate vor ihrem 90. Geburtstag.
• Leopold Schwabacher: Der älteste Sohn der Schwabacher Geschwister arbeitete nach einer Banklehre für verschiedene Firmen in Memmingen, Freiburg und Aschaffenburg. Nach dem Tod seines Onkels zog er 1932 nach Bensheim, um seine Tante Sophie und seine Schwester Else bei der Geschäftsführung zu unterstützen. 1934 verließ er Deutschland und eröffnete mit seinem jüngsten Bruder Fritz einen Lebensmittelladen in Paris. Er konnte im Jahr 1939 dank einer Bürgschaft in die USA auswandern. Er übernahm mit seiner Schwester einen Kinderschuhladen, heiratete bald eine in Hessen geborene Frau und bekam mit ihr einen Sohn. Er starb 1992 in Peoria.
• Paula Gerschlowitz, geb. Schwabacher: Sie machte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete als Kontoristin. 1929 zog sie – wie vor ihr Schwester Bertha – für ein Jahr nach Bensheim zu Tante Sophie und Onkel Zacharias und half dort zusammen mit Else im Kaufhaus. Dann ging sie nach Memmingen zurück. Ihre Stelle als Verkäuferin dort wurde ihr 1934 vermutlich wegen ihrer jüdischen Herkunft gekündigt. Sie zog schließlich wieder nach Bensheim. Doch als auch ihre Eltern nach Bensheim kamen, zog sie zu einer anderen Tante, wohl um Platz für ihre Eltern zu schaffen. 1936 konnte sie mit Hilfe ihres Bruders Hugo nach Südafrika auswandern, arbeitete in einem Hotel und heiratete. Sie hatte zwei Söhne und lebte bis zu ihrem Tod mit 76 Jahren in Johannesburg.
Quelle: BA Online vom 13.09.2024